Beispiel: Gebietsplanung

Ziel der Gebietsplanung ist es, kleine geographische Einheiten (so genannte Basisgebiete) zu übergeordneten Gebieten (häufig als Bezirke, Cluster oder Territorien bezeichnet) unter Berücksichtigung verschiedener relevanter Planungskriterien zusammenzufassen. Typische Beispiele für Basisgebiete sind Städte, Stadtteile, Stadt-/Landkreise, Postleitzahlengebiete, Straßenzüge usw.

Zusammenfassung von PLZ-Gebieten zu Gebieten.

Beispiele

Die Anwendungsgebiete der Gebietsplanung sind vielfältig:

Planung von Wahlkreisen
Die Aufgabe der Wahlkreisplanung besteht darin, ein Wahlgebiet (Staat, Bundesland, …) in einzelne Wahlkreise aufzuteilen, aus denen dann jeweils ein Kandidat direkt ins Parlament gewählt wird. Um den Grundsatz zu gewährleisten, dass jede Stimme dasselbe Stimmgewicht hat, sollen in jedem der Wahlkreise (ungefähr) gleich viele Wähler leben. Basisgebiete in diesem Zusammenhang sind i.A. Städte oder Stadtteile, die jeweils komplett einem Wahlkreis zugeordnet werden sollen. Darüber hinaus sollen die Wahlkreise zusammenhängend und kompakt sein, wodurch das so genannte “Gerrymandering“ verhindert werden soll – dabei handelt es sich um eine entartete Wahlkreiseinteilung, die einer Partei die größtmöglichen Erfolgschancen bietet.

Links: Satirische Darstellung der entarteten Wahlkreise in Massachusetts 1812. Rechts: Wahlkreise bei der Bundestagswahl 2005.

Planung von Vertriebs- bzw. Verkaufsgebieten
Hierbei geht es um die Unterteilung des gesamten Absatzgebietes in Zuständigkeitsgebiete für einzelne Mitarbeiter oder Standorte. Dabei soll die Arbeitsauslastung der Mitarbeiter (annährend) gleich sein und die Gebiete sollen zusammenhängend und kompakt sein, wodurch die meist unproduktive Anfahrtszeit minimiert werden soll.  Zusätzlich Kriterien können eine (ungefähr) gleich starke Kaufkraft in den Bezirken oder eine gute Erreichbarkeit der Kunden, z.B. durch Autobahnen oder Zugverbindungen,  sein.  Bei den Basisgebieten kann es sich beispielsweise um Städte oder PLZ-Gebiete, aber auch um vorhandene kleinere Vertriebsgebiete oder um einzelne Kunden handeln. Die gewünschte Anzahl an Zuständigkeitsgebieten und die Standorte der Verkäufer bzw. Verkaufszentren können vorgegeben oder Teil des Planungsprozesses sein. Ein weiteres, wichtiges Kriterium besteht darin, die Gebietsplanung so durchzuführen, dass der zu erwartenden Gewinn des Unternehmens maximiert wird.

Links: Einteilung eines Absatzgebiets in vier Zuständigkeitsbereichen und Festlegung der Verkaufsstandorte. Rechts: Einteilung eines Absatzgebiets in 16 Zuständigkeitsbereichen ohne Festlegung der Verkaufsstandorte.

Planung von Schulbezirken
Das Ziel der Schulbezirksplanung ist es, die Schüler einer Region (Stadt, Landkreis, …) den vorhandenen Schulen zuzuordnen. Hierbei spielen Kapazitätsbeschränkungen, wie beispielsweise die Anzahl der zur Verfügung stehenden Räume der einzelnen Schulen, eine entscheidende Rolle. Weitere Kriterien können eine gewünschte gleiche Auslastung der Schulen, zu minimierende Anfahrtszeiten der Schüler oder eine gute Erreichbarkeit, z.B. durch öffentliche Verkehrsmittel, der Schulen sein. Als Basisgebiete können hierbei beispielsweise Straßen, Wohnblöcke  oder Ortsteile verwendet werden, wodurch garantiert werden soll, dass Nachbarn die gleiche Schule besuchen.  Vor allem in den USA wird häufig zusätzlich gefordert, dass Schüler, die bestimmten Minderheitengruppen angehören, möglichst gleichmäßig auf die vorhandenen Schulen verteilt werden, um dadurch allen Schülern die gleichen Bildungschancen zu ermöglichen.

Einteilung von Einzugsgebieten für die vorhandenen Schulen.

Planung von Einsatzgebieten für Müllabfuhr, Winterdienst
Ziel dieser Planung ist es, eine Region (z.B. eine Stadt) in mehrere Gebiete zu unterteilen, für die jeweils ein Müllfahrzeug/Streufahrzeug o.ä. zuständig ist. Typische Basisgebiete sind hier einzelne Straßenzüge oder Straßenblöcke. Auch hierbei sollen die Arbeitsauslastung und Fahrzeit möglichst gleich verteilt werden. Die Gebiete sollen zusammenhängend und kompakt sein, wodurch die Fahrzeiten minimiert werden sollen. Zusätzlich sollte innerhalb der Gebiete eine gute und sinnvolle Routenplanung möglich sein.

Einteilung von Einsatzgebieten für Winterdienstfahrzeuge.

Planung von Zuständigkeiten für Elektromüll
Nach der WEEE-Richtlinie (Waste Electrical and Electronic Equipment) der EU müssen die Hersteller von Elektrogeräten für das Recycling und die Entsorgung eines zu ihrem Marktanteil proportionalen Anteils des Elektronikschrots sorgen. Für die Produktgruppe der „weißen Ware“ sollen dazu die kommunalen Wertstoffhöfe und Sammelstellen den Herstellern für einen bestimmten Zeitraum fest zugeordnet werden, so dass immer derselbe Hersteller für die Abholung und Entsorgung eines vollen Sammelbehälters zuständig ist. Im Gegensatz zu anderen, typischen Problemstellungen der Gebietsplanung, soll die Zuordnung so geschehen, dass die Annahmestellen eines Herstellers so weit wie möglich auseinander liegen. Dadurch sollen Monopolstellungen in verschiedenen Regionen verhindert werden.

Zuordnung von Annahmestellen zu Herstellern, wobei die Annahmestellen eines Herstellers möglichst weit auseinander liegen.

Weitere Beispiele
Es gibt eine Reihe weiterer Anwendungsgebiete, wie beispielsweise die Planung von Einzugsgebieten für soziale Einrichtungen,  die Planung von Zuständigkeitsbezirken von Pflegepersonal, die Planung von Straßenblöcken für Prospektverteiler, usw.

Planungskriterien

Die zu betrachtenden Planungskriterien unterscheiden sich von Anwendung zu Anwendung und können z.B. von wirtschaftlichem, demographischem oder organisatorischem Interesse sein. Typische Kriterien sind:

  • Ausgeglichenheit: Die Gebiete sollen (ungefähr) „gleich groß“ bzw. „gleich stark“ bezüglich eines (oder mehrerer) Aktivitätsmaße sein. Dabei kann es sich z.B. um Einwohnerzahlen, Kaufkraft, Arbeitsauslastung handeln.
  • Kapazitätsbeschränkungen: Das Aktivitätsmaß eines Gebiets darf eine vorgegebene Grenze nicht überschreiten. Beispielsweise kann die Kapazität einer Schule durch die vorhandene Anzahl an Räumen eingeschränkt sein.
  • Kompaktheit: Die Gebiete sollen eine „schöne“ und „sinnvolle“ Form haben, beispielsweise annähernd rund oder quadratisch und nicht verzerrt sein. Dieses Kriterium dient u.a. dazu, dass die Anfahrtswege innerhalb des Territoriums nicht zu groß werden. Bei der Wahlkreisplanung verhindert es das “Gerrymandering“  (siehe oben).
  • Zusammenhang: Die Gebiete sollen zusammenhängend sein. Dies hat zum einen administrative Gründe, bei der Wahlkreisplanung wird zudem das „Gerrymandering“ erschwert.
  • Erreichbarkeit: Es soll eine gute Erreichbarkeit des zentralen Orts des Gebiets (z.B. der Schule) durch Straßen, öffentliche Verkehrsmittel etc. gegeben sein.
  • Exklusive und vollständige Zuordnung der Basisgebiete: Jedes Basisgebiet soll genau einem Bezirk zugeordnet werden.
  • Anzahl der Gebiete: Die Anzahl der gewünschten Gebiete ist häufig vorgegeben, sie kann aber auch Teil des Planungsprozesses sein.
  • Standort der Zentren: Die Zentren der Bezirke können fest vorgegeben (z.B. Standort der Schule) sein oder Teil des Planungsprozesses  (z.B. zu bauende Vertriebszentren) sein.
  • Profitmaximierung: Die Bezirke sollen so eingeteilt werden,  dass ein zu erwartender Gewinn maximiert wird. Dieses Kriterium spielt vor allem bei der Planung von Verkaufsgebieten eine wichtige Rolle.

Links: Ausgeglichene / Unausgeglichene Einteilung. Mitte: Einteilung in der ersten Abbildung liefert eine höhere Kompaktheit als die zweite Einteilung. Rechts: Zusammenhängende / Nicht zusammenhängende Bezirke.

Forschungsarbeit und Ziele

Eine Vielzahl von Forschungsarbeiten beschäftigt sich mit Lösungsansätzen für spezielle Einsatzgebiete. Im Gegensatz dazu versuchen wir das Problem allgemeiner zu betrachten. Am Lehrstuhl verwenden wir dazu ein generisches Basismodell und einen dafür entwickelten Lösungsalgorithmus, der auf geometrische Verfahren zurückgreift.

Unsere aktuellen Zielsetzungen für Forschungsarbeiten im Bereich der Gebietsplanung liegen in der Erweiterung und Modifikation dieses Basismodells, um eine größere Anwendbarkeit zu erreichen. Dies beinhaltet beispielsweise die Betrachtung praxisrelevanter Probleme, wie unvollständige Zuordnung von Basisgebieten, überlappende Gebiete, hierarchische Unterteilungen oder gewünschte Ausgeglichenheit über mehrere Perioden. Es kann sich aber auch um im Rahmen von OR-Modellen nicht behandelte interdisziplinäre Einflüsse handeln, wie beispielsweise politische Überlegungen. 

Ein weiterer Aspekt betrifft die Erforschung der Anwendbarkeit der Algorithmen auf nicht OR spezifische Problemstellungen. Bei der Clusteranalyse z.B. geht es darum, in großen Datenmengen „ähnliche“ Daten zusammen zu fassen. Die einzelnen Daten könnten als Basisgebiete, die Cluster als Bezirke aufgefasst werden.

Forschungsergebnisse

 

Ansprechpartner

Stefan Nickel